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Erfahrungsbericht von Renate S.

Bis zu meiner ersten Schwangerschaft verging viel Zeit mit Warten, Hoffnungen, Enttäuschungen, Bangen, Hormonbehandlungen und einigen Fehlgeburten. Als es dann endlich klappte und ich mit unserem absoluten Wunschkind schwanger war, war meine Welt einfach nur in Ordnung und ich überglücklich. Die PND (Postnatale Depression) gleich nach der Geburt meines Sohnes schlug wie ein Blitz in meinem Leben ein, verwüstete mein Seelenleben und mein Glaube an ein glückliches Muttersein. Ich brauchte neun lange Monate, um endlich wieder ein „normales“ Leben zu führen und mich langsam an das „Glücklichsein“ herantasten zu können. Die PND hat jedoch tiefe Wunden hinterlassen, die zwar geheilt, aber immer noch in meinem Bewusstsein vorhanden sind.

Nach knapp zwei gesunden und medikamentenfreien Jahren kam bei mir – und vor allem bei meinem Mann – der Wunsch nach einem zweiten Kind. Wir beschlossen das Abenteuer nochmals zu wagen und setzten die Verhütung ab. Dieses Mal wollten wir aber auf jegliche Form von „Nachhelfen“ verzichten und so rechnete ich eigentlich damit, dass es sicherlich wiederum lange dauern oder sogar überhaupt nicht mehr klappen würde. Umso mehr starrte ich nach dem ersten, verhütungsfreien Zyklus auf einen positiven Schwangerschaftstest. Die Überraschung war riesengross und es überkam mich eine erste Freude mit einem absoluten Hochgefühl. Nach ein paar Tagen auf Wolke sieben kamen aber dann bereits die ersten dunklen Wolken daher. Mir wurde bewusst, dass die Entscheidung jetzt gefallen war und ich sie nicht mehr rückgängig machen konnte. Was, wenn die PND wieder zurückkehrt? Was mache ich mit meinem älteren Sohn, wenn ich mit dem Baby wieder in eine Mutter-Kind-Klinik muss? Schaffe ich es nochmals durch die Hölle zu gehen? Es war ein "Auf und Ab" – die Freude und das unendliche Geniessen der Schwangerschaft wechselte sich mit Ängsten und Panikgedanken für die Zeit nach der Geburt ab. So begann ich für mich eine Checkliste zu erstellen, wie ich mir die Zeit nach der Geburt organisieren könnte. Ich setzte alle Faktoren, die mich während meiner ersten PND in einen Stresszustand versetzt hatten, auf die Liste und überlegte mir passende Lösungen dazu. Das sah in etwa so aus:

Stressfaktor: Baby-Besuch im Krankenhaus und zu Hause

Meine Lösung
Beilage in Geburtsanzeige mit der Bitte von unangemeldeten Besuchen abzusehen und uns grundsätzlich zuerst ein paar Wochen Zeit zu geben, um uns als Familie zu viert einzuleben.

Bemerkung
Das hat super geklappt. Normalerweise freue ich mich über jeden Besuch der mein Leben farbiger und geselliger macht, aber in dieser Phase war es einfach nur schön, wenn ich die Türe öffnete und ich dort ein Babygeschenk oder eine Karte vorfinden konnte, ohne dass ich zwischen Stillen und Wickeln Gäste bewirten musste. Ich konnte mich dann – wann immer ich zwischendurch mal Zeit hatte – bei den lieben Menschen telefonisch bedanken oder auch mal mit dem Kinderwagen ein Ausfährtchen dorthin machen. Bis heute habe ich niemanden erlebt, der uns diesen Wunsch abgeschlagen oder übel genommen hat. Ich bin auf sehr viel Verständnis gestossen.

Stressfaktor: Wäscheberge abbauen

Meine Lösung
Meine Mutter fragen, ob sie das – solange es für mich nötig ist – übernehmen könne.

Bemerkung
Auch dies war kein Problem. Meine Mutter war sehr froh, mir mit dieser Arbeit helfen und ihren Beitrag dazu leisten zu können, mich in dieser Situation zu entlasten. Und ehrlich gesagt: die Wäsche anderer Leute riecht doch eh immer besser als die eigene, oder? Ich habe mich jedes Mal riesig gefreut, wenn ich die gewaschene und gebügelte Wäsche zurückgekriegt habe und den frischen Duft einatmen konnte – herrlich!

Stressfaktor: Mittagessen kochen

Meine Lösung
Menü-Bring-Service vom Restaurant abonnieren

Bemerkung
Auch das war einfach nur toll! Jeden Mittag fuhr ein Auto vor und brachte uns frisch und gesund gekochte Speisen – alles noch warm und wir mussten uns nur an den Tisch setzen und essen. Diesen Service nahm ich jedoch nur in den ersten paar Tagen in Anspruch; schon bald fand ich die Zeit einfache Speisen selber zu kochen. Die Essenszeit war zwar nicht konstant, aber das spielte in unserem Leben überhaupt keine Rolle.

Stressfaktor: Nachts nicht durchschlafen zu können

Meine Lösung
Mein Mann schläft beim Baby und ich habe das Schlafzimmer mit geschlossener Türe für mich.

Bemerkung
Mein Mann blieb nach der Geburt für einen Monat zu Hause (das war eine gegenseitige Abmachung als wir uns entschieden haben, noch ein zweites Baby zu bekommen) und half mit, sich um unsere beiden Jungs zu kümmern. Ich ging jeweils abends früh zu Bett und schlief ruhig ein, weil ich wusste, dass das Baby bei seinem Vater gut aufgehoben war und die erforderliche Nähe von seinem Vater bekam. In der Nacht brachte mir mein Mann das Baby wenn es Hunger hatte und ich konnte den Kleinen im Bett stillen. Nach der Mahlzeit holte er ihn wieder ab, wickelte ihn und legte ihn wieder zurück ins Bettchen. Dafür liess ich dann am Morgen den Kleinen nach der Stillmahlzeit bei mir im Bett und liess meinen Mann ausschlafen. Diese Regelung zogen wir einfach im ersten Monat durch bis mein Mann wieder zur Arbeit musste. Dies war für uns beide eine sehr schöne Zeit, in der wir das Baby – jeder auf seine Art – alleine so richtig geniessen konnten.

Stressfaktor: Sex/Kuscheleinheiten mit dem Partner

Meine Lösung
ein offenes Gespräch führen

Bemerkung
Uns war es sehr wichtig, dass wir bereits vor der Geburt über dieses Thema offen sprechen konnten. Somit konnten Missverständnisse aus dem Weg geräumt und Wünsche an den Partner offen gelegt werden.

Stressfaktor: Den Haushalt im Schuss halten

Meine Lösung
Reinigungsfee weiterhin engagieren

Bemerkung
Die Reinigungsfee hatte ich bereits seit meiner Zeit mit der PND organisiert. Wie war es doch schön von der Arbeit nach Hause zu kommen und zu wissen, dass die Bäder und Böden frisch geputzt sind. Anfangs hatte ich jedoch sehr Mühe diese Arbeit an jemand „Fremdes“ abzugeben – doch nach anfänglicher Skepsis betreffend der Sauberkeit und Vertraulichkeit war ich dann mit der Zeit einfach nur noch dankbar, dass ich mich nicht mehr um die „Grobarbeiten“ im Haushalt kümmern musste. Nach der Geburt meines zweiten Sohnes ging ich an den „Putzmorgen“ jeweils zu meiner Mutter, um die Putzfee in Ruhe arbeiten lassen zu können und ihr nicht mit meinem „Perfektionismus“ auf den Wecker zu gehen. Das hat für uns beide ganz toll geklappt!

Stressfaktor: Einkaufen

Meine Lösung
Freunde/Familie organisieren

Bemerkung
Eigentlich war ich ja fast jeden Tag mit dem Kinderwagen unterwegs und konnte die erforderlichen Einkäufe selber erledigen. Wenn’s aber mal wirklich nicht ging durfte ich meinen Einkaufszettel der Nachbarin und einer Freundin weitergeben und ich bekam prompt meine Einkäufe zu Hause abgeliefert. Heute gibt’s dafür auch den Home-Service grosser Supermarktketten.

Stressfaktor: Alleine sein mit beiden Kindern

Meine Lösung
Freunde/Familie zu bitten auf Abruf bereit zu sein und Liste mit „Notfallnummern“ zusammenstellen

Bemerkung
Im ersten Monat war ja mein Mann zu Hause und dieser Punkt erübrigte sich. Danach war ich aber wirklich ab und zu froh, zum Telefon greifen zu können und jemanden Vertrautes zu haben, der ein paar Minuten später bei mir im Haus stand, mit dem ich ein Gespräch führen, für einen Spaziergang abmachen, kurzfristig meine Kinder übergeben oder gemütlich einen Kaffee trinken konnte. Dank dem offenen Gespräch mit allen Beteiligten vor der Geburt konnte ich auch Treffen oder Abmachungen kurzfristig wieder absagen, wenn mir danach war – und dies alles ohne schlechtes Gewissen!

Stressfaktor: Wiedereinstieg im Job / Mutterschaftsurlaub

Meine Lösung
Absprache mit dem Chef, ob ich – ja nach Bedarf – eventuell den Mutterschaftsurlaub als unbezahlten Urlaub verlängern könnte.

Bemerkung
Ich war in der tollen Lage einen unkomplizierten und sehr sozialen Chef zu haben. Ich habe dann zwar nach dem offiziellen Muttterschaftsurlaub die Arbeit wieder mit viel Freude aufgenommen, aber es nahm mir enorm Druck weg zu wissen, dass ich auch erst etwas später wieder hätte einsteigen können.

Stressfaktor: Als „glückliche Mutter“ zu scheinen

Meine Lösung
Die Antwort auf die Frage: „wie geht es dir?“ offen und ehrlich zu beantworten, auch wenn ich an schlechteren Tagen jemanden mit einer solchen Antwort schockieren könnte.

Bemerkung
Ja, das war nicht immer einfach und ich habe auch gemerkt, dass mir teilweise Menschen aus dem Weg gegangen sind oder diese Frage nicht ein zweites Mal gestellt haben. Aber – bei den Menschen, dir mir wichtig sind habe ich mit dieser Art ein tolles Vertrauensverhältnis geschaffen; ich musste mich nicht verstellen und mein Gegenüber wusste, dass ich ehrlich bin. Aus dieser Haltung heraus kam ich ganz oft zu interessanten und hilfreichen Gesprächen mit der Erkenntnis, dass jede „glückliche“ Mutter auch ihre schlechten Tage haben darf und dies NORMAL ist.

Stressfaktor: Was mache ich, wenn die PND zurückkehrt?

Meine Lösung
Mit Psychiater Kontakt aufnehmen und Termin zur Vorbesprechung/Planung vereinbaren

Bemerkung
Ich hatte nach der abgeklungen PND die Behandlung beendet. Nun machte ich während der Frühschwangerschaft wieder einen Termin mit meinem vertrauten Psychiater. Er betreute mich während der ganzen Schwangerschaft und ich konnte alle meine Sorgen und Ängste mit ihm besprechen. Wir planten zusammen ganz genau die Zeit nach der Geburt. Ich wusste, dass ich ihn jederzeit anrufen konnte und wir vereinbarten schon jetzt, dass wir dieses Mal möglichst rasch mit der Medikamenteneinnahme beginnen würden, um einen allzu tiefen Absturz zu vermeiden. Ebenfalls besprach ich die Situation mit meiner Familie und traf schon während der Schwangerschaft Entscheidungen bei wem mein älterer Sohn sein würde, wenn ich mit dem Baby wieder in eine Mutter-Kind-Klinik müsste.

Schlussbemerkungen

Dies war sie also, meine Checkliste. Sie war ein wichtiger Bestandteil meiner zweiten Schwangerschaft. So hatte ich für mich das Gefühl aktiv etwas machen zu können und einer erneuten PND entgegen zu wirken.

Ich war mir voll bewusst, dass viele meiner möglichen Lösungen mit – zum Teil grossen – zusätzlichen Kosten verbunden waren. Ich hoffte jedoch, dass diese zusätzlichen Ausgaben bestmöglich in meine Gesundheit investiert waren. Bei meiner ersten PND hatte ich für den Klinikaufenthalt ebenfalls beträchtliche, nicht von der Krankenkasse abgedeckte Kosten selber zu tragen. Ich hoffte nun einfach, dass sich mit meinem Vorgehen diese Kosten dafür gering halten würden. Vielleicht gäbe es ja auch „Light-Versionen“ zu meinen Lösungen? Jeder Mensch hat ein anderes Umfeld und somit vielleicht andere Lösungsmöglichkeiten. Wichtig ist nur, dass man sich überhaupt mit diesen Themen auseinandersetzt und für seine ganz eigenen Stressfaktoren die persönlichen Lösungen sucht.

Sie fragen sich nun bestimmt, ob die PND nach der Geburt nun erneut aufgetreten ist!?! Nein, ich hatte das grosse Glück von einer weiteren PND verschont zu bleiben. Es gab zwar immer wieder Tage oder Zeiten, wo ich auf einem ganz schmalen Grad ging und wusste, dass ein „Fehltritt“ mich in die Tiefe stürzen lassen würde, aber irgendwie habe ich immer wieder den Halt und die Trittfestigkeit erlangt, zurück auf den breiteren Weg zu gelangen. Ob dies meiner Checkliste zu verdanken ist? Wahrscheinlich nicht; für eine PND spielen ja noch so viel mehr Faktoren mit. Es war einfach unermessliches Glück, dieses Mal nicht davon betroffen zu sein. Sicherlich hat mir aber die Checkliste während der Schwangerschaft ein grosses Stück der Angst und des Drucks weggenommen und ich konnte mehrheitlich Glückgefühle über das wachsende Leben in mir erleben. Ich konnte so das Gefühl haben, für mich bestmöglichst auf die Zeit nach der Geburt vorbereitet zu sein – mit oder ohne PND.