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Interview mit dem Psychotherapeuten Egon Garstick zum Thema Väter und PPD

Egon Garstick

In Ihrem Buch „Junge Väter in seelischen Krisen“ beschreiben Sie Ihre Arbeit mit frischgebackenen Familien unter Einbezug der Väter. Was ist dabei in Ihrer Arbeit als Psychotherapeut die grösste Herausforderung?

Für meine Arbeit brauche ich eine gute Vernetzung mit Hebammen, Mütterberaterinnen, Frauenärzten, Sozialarbeitern und anderen direkten Kontaktpersonen junger Familien. Das Ziel dabei ist: Junge Väter sollen ihre wichtige, wertvolle Rolle für das Baby und die Mutter erkennen können und für das Engagement in der Familie motiviert werden, damit sie ihre Partnerinnen nicht belasten, sondern unterstützen. Es geht dabei immer auch darum, die Herausforderungen, mit denen der junge Vater konfrontiert ist, zu sehen, zu verstehen und mögliche Schwierigkeiten vor dem Hintergrund seiner eigenen Vaterbeziehung zu interpretieren. Der heutige junge Vater betritt in seiner Rolle auch oft Neuland. Der eigene Vater kann häufig nur ungenügend als Vorbild genutzt werden. Die Anforderungen, Wünsche der Partnerinnen und die Ansprüche an sich selbst sind in der Regel höher, als es früher Väter erlebt haben. So entstehen Selbstwertkrisen und Ängste. Zu Beginn meiner Arbeit fiel es mir gar nicht leicht, mich auf die möglichen Schwierigkeiten von Männern mit ihren Frauen, wenn sie schwanger sind oder geboren haben, einzulassen. Ehrlich gesagt, am Anfang empfand ich die Männer dann als zu verweichlicht. Aber es waren sehr engagierte Hebammen und Sozialarbeiterinnen, die darauf bestanden, dass ich mich um sie kümmerte, und das war auch gut so. Ich hörte immer mehr von berührenden, belastenden Kindheitserfahrungen der jungen Väter und ihrer eigenen Vaterlosigkeit, so dass doch auch meine eigene starke Motivation für die Arbeit mit ihnen entstand.

Es ist eine gute, emanzipatorische Entwicklung, dass Väter sich mehr in die Kindererziehung und -betreuung einbringen und sich eigentlich noch mehr verbindlich im Vatersein engagieren wollen.

Aber Väter und Mütter haben es in der Regel in unserer Gesellschaft immer noch zu schwer, die familiären Bedürfnisse und die Erwartungen der Berufswelt an sie gut unter einem Hut zusammen zu bringen. Hier wird noch zu wenig von der Politik und der Wirtschaft verstanden, dass unsere Gesellschaft, die Gesundheit und auch Belastbarkeit der arbeitenden Menschen von einer guten frühkindlichen Entwicklung der Menschen abhängen. Ganz ökonomisch argumentiert, ist die bessere Unterstützung der jungen Familie und der wohl arbeiten wollenden Eltern eine wichtige Investition, wenn die Arbeitswelt und das Gesundheitssystem von belastbaren, gesunden und arbeitsfähigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer getragen werden soll.

Wir brauchen hierfür einen viel längeren Mutterschafts- und Vaterschaftsschutz!

In der Schweiz erkranken jährlich mehr als 11'000 Frauen an einer Postnatalen (Postpartalen) Depression oder gar Psychose. Wie gehen Männer mit dieser Situation um?

Entscheidend ist dabei zum einen, den Vätern die Situation der Frauen zu erklären, die Krankheit beim Namen zu nennen und auch die guten Heilungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Daneben ist es aber auch wichtig, den Vätern in der Hektik zwischen Beruf und Familie Freiräume einzuräumen. So half es einem Vater, den ich therapierte, sehr, jeweils – und davon wusste seine Frau – zwei Tramstationen früher als direkt vor seinem Zuhause auszusteigen und nach Hause zu laufen, um diese Zeit dafür zu nutzen, runterzukommen, sich auf die Situation zuhause einzustellen. Männer brauchen oft noch stärker eine Art rationale Aufklärung. Man kann dem auch psychoedukative Arbeit sagen. Sie wollen die Prozesse, in denen sie und ihre Partnerin sich befinden, rational verstehen können. Auch ein „kognitives Verstehen-Können“ ihres eigenen Zustands brauchen sie, denn auch bei jungen Vätern, die sich emotional auf das Geschehen und das Baby einlassen, verändert sich hormonell nach der Geburt etwas: Das Testosteron geht zurück, sie fühlen sich dabei eventuell weniger männlich. Zu wissen, dass das ein vorübergehender Zustand ist, beruhigt dabei viele. Auch ist es eine Tatsache, dass die Libido im Rahmen einer Depression zurückgeht. Auch hier ist es wichtig zu verstehen, dass das kein lebenslanger Zustand ist, und zu lernen, diesen Zustand mit alternativen „besinnlichen Momenten“ zu füllen. Ich nenne das z.B. die fünfminütige Traumzeit. Dabei darf der eine dem anderen fünf Minuten lang von dem erzählen, was ihm wichtig ist, wovon er träumt, was er sich von der Zukunft erhofft, ohne dass er unterbrochen wird. Das Ziel ist, den anderen wieder auf sich neugierig zu machen.

Gemäss verschiedener Studien ist ein starker Zusammenhang zwischen mütterlicher Depression und depressiven Symptomen bei Vätern erkennbar. Goodman (2004) geht davon aus, dass zwischen 24% und 50% der Männer, deren Frauen an Postnataler Depression erkranken, selbst eine solche entwickeln. Wie sehen Sie diesen Zusammenhang? Kann man sogar von einer depressiven Ansteckung sprechen? Was sind typische Symptome einer Postnatalen Depression bei Vätern?

Eine Postnatale Depression der Mutter kann auch für den Vater eine riesige Belastung sein: Er übernimmt viele Aufgaben, versucht seine Familie zu beschützen, erhält dafür aber häufig weder die notwendige Zeit, noch die nötige Anerkennung. Daran können junge Väter zerbrechen. Sie erleben tiefgehende Kränkungen, und es droht ein grösserer Einbruch in ihrem Selbstwertgefühl.
Was dem Selbstwertgefühl des Vaters gut tun kann, ist zum Beispiel Folgendes: Er braucht das Aufzeigen seiner wichtigen, wertvollen Hilfestellungen für die Partnerin und sein Baby. Gut ist es, wenn es ihm gelingt, sich mit der Rolle eines sogenannten „Aussenministers“ der Familie zu identifizieren. Dazu gehören Dinge wie das Einkaufen, das Kommunizieren mit Freunden und Angehörigen, das Organisieren von sozialen, wohltuenden Kontakten für Mutter und Baby, aber auch manchmal das Abschirmen der Familie, wenn die Mutter mit dem Baby eher mehr Ruhe braucht.

Dies alles bedingt aber ein gesundes Selbstwertgefühl beim Vater. Er braucht eine grundsätzlich positive Lebenseinstellung und auch Ausdauer, gekoppelt mit einer gewissen Frustrationstoleranz.
Um ihre körperliche Ausgeglichenheit müssen wir uns auch in der Arbeit mit den Vätern kümmern.

In meiner Arbeit mit den Vätern bespreche ich u.a. deshalb auch ganz praktische Fragen.
Eine davon ist: Wie kann sich der Mann in dieser Kräfte zehrenden Phase wieder Energie durch Bewegung holen? Wenn ich mitbekomme, dass ein Mann ruhelos agiert, spreche ich mit ihm über seine motorischen Bedürfnisse und überlege mit ihm, wie seine Bewegungsbedürfnisse doch noch in dem veränderten Alltag ein Stück weit integriert werden können. Als Beispiel sei hier die Möglichkeit der Nutzung eines Kinderjoggingwagens genannt, mit dem der Vater joggen, das Kind schlafen und die Mutter in dieser Zeit zuhause ausruhen kann.

Es besteht bei einigen jungen Vätern die Gefahr, dass sie sich angesichts der depressiven Krise ihrer Partnerinnen frustriert aus dem Familienleben zurückziehen, weil sie sich selber vollkommen unverstanden fühlen. Sie beschäftigen sich anderweitig, ausserhalb der Familie, ob beruflich oder und beziehungsmässig. Das ist die Folge einer Art innerer Migration. Die depressive Krise der Mutter überfordert ihn, und er – salopp gesagt – „schaltet ab“.

Wenn der Mann bei der Bewältigung dieser Krise jedoch adäquate Unterstützung findet, er durch flexiblen Umgang gut abgeholt sowie aufgeklärt wird und sich verstanden fühlt, gelingt es meistens, dieses Fluchtbedürfnis aufzufangen und ihn für die Einnahme seiner wichtigen Rolle zu gewinnen.

Wie könnte man die Väter besser in ihrer neuen Rolle unterstützen bzw. sie bereits darauf vorbereiten?

Viele Frauen tauschen sich regelmässig in Geburtsvorbereitungskursen vor der Geburt aus und treffen sich nachher z.B. im Rückbildungsturnen. Das sollte auch für Väter möglich sein.

Man sollte begleitete Gesprächsrunden für Männer während der Schwangerschaft, kurz vor der Geburt und dann auch auf jeden Fall nach der Geburt anbieten. Oft gibt es einige irritierende Erfahrungen zu verarbeiten, und das kann besonders gut in einer Art „Peer-Group“ mit der Begleitung durch einen erfahrenen professionellen Begleiter geleistet werden, der sich aber auch mit seinen eigenen Vatererfahrungen einbringt.

Das Ziel ist die Integration der werdenden Väter nicht nur in die Geburtsvorbereitung, sondern auch in die Zeit danach. Schliesslich sind sie meistens für ihre Frau die wichtigste Bezugsperson in der so ganz neuen Lebensphase. Die konstruktive, fürsorgliche Übernahme der partnerschaftlichen und väterlichen Rolle ist entscheidend für die Gesundheit der ganzen Familie, und sie verdient Wertschätzung und Verständnis. Das muss aber ruhig deutlicher und klarer den Vätern gesagt werden.

Während man immer mehr von der Postnatalen Depression bei Frauen spricht, werden die Männer in dieser Lebensphase meist aussen vor gelassen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Das Bewusstsein für die veränderten Herausforderungen an den Mann und Vater ist in breiten Kreisen unserer Gesellschaft noch nicht genügend gewachsen, und demzufolge besteht auch noch zu wenig Verständnis für ihre Bedürfnisse, Ängste und Sorgen. Männer sollten selbstbewusstere Familienväter werden, sich nicht am Arbeitsplatz dafür schämen müssen, wenn sie für ihre Familie oder auch für ihre kranke Frau da sein möchten oder müssen.

Ich treffe immer wieder junge Väter an, denen als Vorbild eine selbstbewusste, gütige, beruhigende, vermittelnde und Mut machende väterliche Bezugsperson fehlt, und sie zeigen einen regelrechten Vaterhunger. Auch wenn der eigene Vater körperlich im Leben des jungen Vaters anwesend war, so kann trotzdem dieser Vaterhunger auftauchen, weil dieser zwar körperlich anwesende Vater nicht wirklich als lebendiges, spürbares und Orientierung gebendes Modell zur Verfügung stand.

Fazit ist: Man muss Männern, wenn sie Vater werden, die Chance geben, sich mit ihrer eigenen Vatererfahrung auseinanderzusetzen, damit eine gute Vorbereitung auf eine reife Vaterschaftsübernahme möglich ist.

Was sind gemäss Ihrer Erfahrung die häufigsten Bewältigungsstrategien der Männer, wenn ihre Partnerin in der Krise steckt? Und wie gehen sie damit um, wenn sie selbst in die Krise geraten?

Diese Frage könnte seriös nur durch einen längeren Artikel beantwortet werden. Sie erlauben mir, Werbung in eigener Sache zu machen und auf mein Buch hinzuweisen:

„Junge Väter in seelischen Krisen“, erschienen 2013 beim Klett Cotta Verlag.

Laut meinen Kritikern gebe ich darin ehrliche Einblicke in die Therapie mit jungen Vätern und ihre ganz persönlichen Herausforderungen nach der Geburt.

Aber eine häufig anzutreffende sogenannte Bewältigungsstrategie ist die vorhin schon genannte „Innere Migration“. Darunter verstehe ich das „in Sich hinein Fressen“ und den emotionalen Rückzug. Beide Elternteile werden in der Beziehung einsam. Das gilt es zu erkennen, und sie brauchen darin Unterstützung, dass sie sich wieder mitteilen können und gehört werden. Auch das Baby spürt das und ist sicherlich dankbar, wenn die Atmosphäre zwischen den Eltern wieder lebendiger wird.

Denken Sie, dass die Beziehung oder Ehe eines Paares, bei dem der eine Teil an einer Postnatalen Depression erkrankt, eher zum Scheitern verurteilt ist als unter „normalen“ Umständen? Oder was kann getan werden, um diesem Scheitern entgegenzuwirken?

Wenn eine Frau – oder ein Mann – nach der Geburt an einer Postnatalen Depression erkrankt, ist das natürlich eine grosse Herausforderung für die Beziehung. Ob die Beziehung das übersteht, hängt wiederum von verschiedenen Faktoren ab: beispielsweise von der Vorgeschichte, welche die Basis für die Beziehung legt, den Ressourcen, über welche beide Partner verfügen (Resilienz), aber auch in was für ein psychosoziales Netz beide eingebunden sind.
Wichtig ist jedoch in jedem Fall, dass kognitiv und emotional verstanden werden kann, dass die Zweierbeziehung sich durch das Elternwerden verändert (auch schon vor der Geburt). Auch brauchen wir grundsätzlich eine andere Einstellung zu einer vorübergehenden, möglichen psychischen Erkrankung, als die, welche in vielen Köpfen noch besteht.

Die postpartal (oder auch postnatal) genannte depressive Erkrankung ist eine Lebenskrise, in der der Mensch vor allen Dingen emotional aufgefangen werden muss. Ein depressiv gewordener Elternteil braucht eine für ihn, dem Baby und seinen weiteren Bezugspersonen gerecht werdende, jeweils ganz individuell abgestimmte Behandlung. Das Ziel ist die Erhaltung eines gesunden, lebendigen Entwicklungsraumes für das Kind und die Wiederbelebung der Mann-Frau-Beziehung in der Elternschaft (siehe hierzu auch im Buch „Junge Väter in seelischen Krisen“).

 

Egon Garstick arbeitet u.a. als Psychotherapeut mit Kindern, Eltern und Familien im Zürcher Stadtspital Triemli und in der Stiftung Mütterhilfe