Wir verwenden Cookies und Analysesoftware, um unsere Website möglichst benutzerfreundlich zu gestalten. Wenn Sie fortfahren, stimmen Sie der Verwendung dieser Services zu.

logo ppd

 

Wenn die Sonne Schatten wirft - Erfahrungsbericht einer Angehörigen

Meine Schwägerin war bis zur Geburt ihrer Tochter eine Frohnatur, ein sozial aufgeschlossener, sehr ausgeglichener und unternehmungslustiger Mensch. Sie liebte Kinder und war überglücklich, als sie schwanger wurde. Sie brachte im Frühling 2018 ein gesundes Mädchen zur Welt. Als ihre Tochter ein paar Wochen alt war, rief sie mich unter Tränen an und sagte mir, dass es ihr nicht gut gehen würde. Ich wollte ihr so gerne helfen, sie in den Arm nehmen und für sie da sein. Jedoch liegen zwischen unseren Wohnorten über 850km, sodass unsere Kommunikation zu diesem Zeitpunkt ausschließlich über das Telefon stattfinden konnte.

Bei ihr führten verschiedene Ursachen zu einer Postnatalen Depression, da weder die Schwangerschaft noch die Geburt komplikationslos verliefen. Außerdem war sie nach der Geburt nahezu auf sich allein gestellt, da eine große örtliche Distanz zu nahezu allen engen Bezugspersonen, mit Ausnahme ihres Ehemannes und engen Freundinnen, bestand. Es gab auch mehrere Gründe, weswegen die Depression nicht sofort erkannt wurde. Für meine Schwägerin war es die erste Schwangerschaft, sodass sie selbst ihre Stimmung und auch die Schlafstörung nicht richtig einordnen konnte. Da sie gerade Mutter geworden war, ist es ganz natürlich, dass sowohl die Nächte als auch die Tage sehr anstrengend und kräftezehrend waren und die erste Zeit auch aufgrund der Umstellung zu starker Erschöpfung führte. Als sie spürte, dass ihr Zustand nicht mehr "normal" war, wurde sie weder von ihrer Frauenärztin noch an weiteren Anlaufstellen, bei denen sie um Hilfe bat nicht ernst genommen.

Es ist ein schmaler Grad

Wie bzw. wann kann man erkennen, dass der „normale“ Erschöpfungszustand überschritten ist und eine postnatale Depression beginnt? Im Nachhinein hätten wir ihr viel früher zu einem Selbsttest raten sollen. (zum Selbsttest)

„Das geht schon vorbei“

Zu diesem Zeitpunkt führten wir nun viele sehr intensive Gespräche. Es ist schwer, auf einer solchen Distanz zu helfen. Persönliche Gespräche sind sicherlich deutlich heilsamer und ich fühlte mich am Telefon oft hilflos. Ihre Schwiegermutter und ihre Mutter zogen wochenlang im Wechsel bei ihr ein und kümmerten sich aufopferungsvoll um das Kind. Leider nahmen weder sie noch ihr Ehemann die Depressionen als ernstzunehmende Krankheit wahr. Meine Nichte wurde versorgt und meine Schwägerin bzw. ihr Körper sollte sich selbst heilen. Ich hatte den Eindruck, dass sie dachten, „das geht schon vorbei“. Wenn in unserer Gesellschaft grundsätzlich offener über Depressionen gesprochen werden würde, würde man der Unwissenheit und Verständnislosigkeit der Krankheit gegenüber vorbeugen und es somit für jeden einfacher machen, die Symptome zu erkennen und ggf. früher heilende Massnahmen einzuleiten. Eine Depression, insbesondere im fortgeschrittenen Stadium kann nicht ohne professionelle Hilfe überwunden werden.

Erschwerend kam hinzu, dass Ihr Ehemann die Schulmedizin grundsätzlich ablehnt und sowohl gegen einen Klinikaufenthalt als auch gegen die Einnahme von Medikamenten war, sodass er absolut nicht hinter der Entscheidung stand, als sie sich schließlich ohne Kind in eine Klinik begab. Am Ende dieses Aufenthaltes kam ich erstmals während ihrer Depression mit meiner Schwägerin in persönlichen Kontakt. Ihr Vater und ich haben uns auf den Weg in die Schweiz gemacht, da wir uns inzwischen unglaubliche Sorgen machten. Sie hatte zu dem Zeitpunkt auf Wunsch ihres Ehemannes und gegen den Rat der Ärzte vor Ort den Krankenhausaufenthalt abgebrochen. Für mich war es schlimm zu sehen, wie schlecht es ihr wirklich ging. Sie war absolut nicht sie selbst. Sie wirkte unglaublich traurig, abwesend und auch irgendwie gleichgültig und beeinflussbar. Wir führten bei ihr Zuhause viele intensive Gespräche und wir hatten kein gutes Gefühl, sie nach zwei Tagen wieder zurück lassen zu müssen. Am liebsten hätten wir sie und die Kleine mit nach Deutschland genommen, sie dort gemeinsam mit ihrem Kind in eine Klinik untergebracht, für die wir schon eine Zusage hatten und uns währenddessen intensiv um sie gekümmert. Jedoch war sie nicht in der Lage eine Entscheidung zu treffen und ihr Ehemann war dagegen. Obwohl sie sich dann in eine wöchentliche Therapie begab und die Medikation fortführte, ging es ihr in den folgenden Wochen immer schlechter.

Wege aus dem schwärzesten Schatten zurück ins Licht

Letztendlich traf ihre Familie in Deutschland nach vielen Gesprächen mit meiner weiteren Schwägerin, ihrer Schwester, jedoch gegen den Willen ihres Mannes, die Entscheidung, sie mit ihrem Kind in eine sehr professionelle Klinik in der Schweiz aufnehmen zu lassen. Das erste Mal, seit ich von ihrer Depression erfahren hatte, fühlte ich mich erleichtert, da ihr nun endlich intensiv und mit einem hohen persönlichen Engagement des Personals geholfen wurde. Ihre Familie und auch Freunde versuchten in dieser Zeit so gut es ging für sie da zu sein, indem sie unter anderem abwechselnd jedes Wochenende besuchten. Es brauchte viel Zeit und Geduld und sie musste sehr Schweres aushalten und ertragen bis sich wieder Wege aus dem schwärzesten Schatten zurück ins Licht und die Sonne auftaten, von denen sie manchmal keine Ahnung mehr hatte, dass es sie gibt.

Ich bin unglaublich erleichtert und so stolz auf sie, dass sie es tatsächlich aus dem schwarzen Loch geschafft hat.